Torsten Staude

*1969

© beim Autor

 

 

 

 

RÜCKKEHR

 

 

I

 

Oft einsam ist der, dem die Heimat fehlt,

So fern der Wurzeln seiner vielen Ahnen,

Wo Enkel geboren, Säuglinge zahnen

Und man die Gräber aus dem Boden kehlt.

 

Wer sich nur durch die Gegenwart quält,

Ihn die Gefühle zur Rückkehr mahnen,

Sucht den Platz unter heimischen Fahnen,

Wo reges Treiben das Gemäuer beseelt.

 

Versucht man sein Glück in der Welt zu finden,

Wo Menschen selbst den friedlich’ Fremden hassen,

So kann schon früh das Vorhaben mißlingen.

 

Und dem doch oft des Antriebs Kräfte schwinden,

Hat jener eben Haus und Hof verlassen,

Wollt’ er auch mutig in die Ferne dringen.

 

 

II

 

Wollt’ er auch mutig in die Ferne dringen,

Wie einst des Kreuzes verwegene Ritter,

Die dann als Tode bringendes Gewitter

Blute regnend über den Städten hingen;

 

Und wollt’ er sich als Botschafter verdingen,

So schmeckt die Wahrheit oftmals schal und bitter,

Nicht selten zierte sein Fenster ein Gitter,

In dem sich die schlichtend’ Worte verfingen.

 

Ja, stünde es in seiner geistig’ Macht,

Daß leidbannend er in die Zukunft sähe,

Er bräuchte nie mehr mit den Tränen ringen.

 

Trotz dunklem Kerker und grundlos’ Verdacht

Vermißt er schmerzlich nur der Lieben Nähe

Ihn Heimweh gar und Sehnsüchte bezwingen.

 

 

III

 

Ihn Heimweh gar und Sehnsüchte bezwingen,

Wenn nach trauter und geselliger Runde,

Am Tage oder zu späterer Stunde

Die Stille herrscht, die Gespräche verklingen.

 

Vordem noch beim zechen, spielen und singen,

Aus voller Kehle, aus heiterem Munde,

Wird’s derweil Zeit für die nächtliche Wunde,

Ihm leidvoll nun die Einsamkeit zu bringen.

Die Dunkelheit, als der Nächte Begleiter,

Ihn Nacktheit nun und Kälte spüren läßt,

So als hätt’ er sich aus der Kleidung geschält.

 

In dem Alleinsein wird er zum Neider,

Auf den, der in der Geborgenheit Nest,

Der Schmerz der Trennung seine Seele quält.

 

 

IV

 

Der Schmerz der Trennung seine Seele quält,

Gedanken allein das Fernweh versengen

Und ihn gar zum eiligen Aufbruch drängen,

Hat er erst den Weg nach Hause gewählt.

 

Der Sehnsucht Ziel jedoch wieder verfehlt,

Läßt er sich artig von eisernen Fängen

In eine ganz andere Richtung drängen,

Auf daß er erneut seinen Wunsch verhehlt.

 

Wär’ ihm die Heimat dauernder Verlust,

Er würd’ sich das Blut aus den Adern ritzen,

Aber noch ein Schimmer der Hoffnung schwelt.

 

Erfaßt von Heimweh drückt’s in seiner Brust,

Wenn seinesgleichen mit am Tische sitzen

Und wenn man irgends von Sachsen erzählt.

 

 

V

 

Und wenn man irgends von Sachsen erzählt,

Dies stolze Volk von Kämpfern und Getreuen,

Die weder Tod noch leibhaft’ Teufel scheuen,

Von Schlachten und zahlreich’ Kriegen gestählt;

 

Wenn man eine heldenvoll’ Saga wählt,

Erzähler tiefe Bewunderung streuen,

Alleinig Gemüt und Herzen erfreuen,

Dann wird sein Körper von Freude beseelt.

 

Stunde für Stunde, zu des Tages Welken,

Vergißt er spielend Gegenwart und Pflichten,

Läßt er sich treiben und harrt den Dingen.

 

Schön ist’s in tiefen Gedanken zu schwelgen,

Wenn Fremde von fernen Höfen berichten,

Die Fahrenden heimisch’ Ritter besingen.

 

 

VI

 

Die Fahrenden heimisch’ Ritter besingen,

Die Taten dieser so kunstvoll verbreiten,

Von Turnieren fern und zum Kampfe Schreiten,

Von Lanzenstößen und kreuzenden Klingen.

 

Mit Lust erzählt man von Sieg und Gelingen,

Möchte’ den Zuhörer zum Staunen verleiten,

Ihm spannende Augenblicke bereiten,

Ihn mit Worte bannen und sanft umschlingen.

 

Still lauschend taucht er in diese Welt hinein,

Will ehrfurchtsvoll in deren Mitte streben

Und Abende als Mitstreiter verbringen.

 

Um jenen Helden doch ganz nahe zu sein

Und um ihre Taten fast selbst zu erleben,

Seine Gedanken sich dorten hinschwingen.

 

 

VII

 

Seine Gedanken sich dorten hinschwingen,

Wo seine Mutter am Fenster verweilt,

Daß endlich ihr Sohn heil nach Hause eilt,

Damit die Ketten des Kummers zerspringen.

 

Und wenn im Schlafe solch Stimmen erklingen,

Die vertrauten Gesichtern zugeteilt,

Sich, kaum sind Wunden zu Narben verheilt,

Des Trübsals Hände um seinen Hals schlingen.

 

Gar oft sind leidvoll’ Träume seine Gäste,

Fürchtet er sich vor der nächtlichen Schmach,

Die zu seinen größten Peinigern zählt.

 

Zieht’s ihn doch auf die elterliche Feste

Und wohl besonders in jenes Gemach,

Wo er einst seiner Mutter Herz gepfählt.

 

 

VIII

 

Wo er einst seiner Mutter Herz gepfählt,

Sie stieß in Angst und fortwährendes Leiden,

Sann er auf abenteuerreiche Zeiten,

In denen sich nebst Geist auch der Muskel stählt.

 

War man bemüht, ob Tränen ungezählt,

Stets Lethargie und Trauer zu vermeiden,

So kann man Mütter kaum darum beneiden,

Daß sich ihr Kind mit der Fremde vermählt.

 

So als würd’ ihr das Liebste weggenommen,

Aus dem Schoße der Behütung gerissen,

Während Häscher ihre Hände verschnüren.

 

Den Berg der klagenden Münder erklommen,

Weil Hilfe sie doch und Beistand vermissen,

Erinn’rungen nur mehr das Dasein zieren.

 

 

IX

 

Erinn’rungen nur mehr das Dasein zieren,

Das sorglos in die Vergangenheit flüchten,

Fern von Verleumdung, Lügen und Gerüchten,

Die seine Feinde doch überall schüren.

 

Und haßerfüllte Augen auf ihn stieren,

Von den der sich bedroht Fühlenden Süchten,

Die sie ob ihrer Verteidigung züchten

Und auf sein baldiges Verschwinden gieren.

 

Sie letztlich nur einen Bastard gebären,

Gehüllt in spärliche Lumpen und Kleider

Und gezeugt von Feindseligkeit und Neid.

 

Weil Angst und Vorsicht im Stillen doch gären,

Sind Haß und Mißtrauen stete Begleiter,

Die Tage von Glück und Frohsinn befreit.

 

 

X

 

Die Tage von Glück und Frohsinn befreit,

Die Nächte mit unruh’gen Träumen walten,

Wo die Toten um seine Hand anhalten,

Als wär’ ihm dies am Ende prophezeit.

 

Zum stillen Ausharren vermaledeit,

Bleibt ihm nur das Warten und Händefalten,

Bis ihm eine dieser Hölle Gestalten

Forderungen nun ins Gesichte schreit.

 

Es sei an der Zeit, nun mit ihm zu gehen,

An jenen Ort, wo seinesgleichen hausen,

Die ihm ein besseres Leben gewähren.

 

Versucht er dem Drängen zu widerstehen,

Des irdischen Daseins Leiden und Grausen

Doch merklich an Mut und Tatendrang zehren.

 

 

XI

 

Doch merklich an Mut und Tatendrang zehren,

Des Landes Elend und der Menschen Not,

Der Städte versinken in Dreck und Kot,

Das sich von Gewalt und Siechtum Mehren.

 

Dort hilft kein beklagen und kein beschweren

Über das, was die Menschheit doch bedroht,

Und als wäre es das Elfte Gebot,

Solle er sich um seine Dinge scheren.

 

Will er die Welt vom Sinister befreien,

Die Bewohner vor den Pestfluten retten,

So müßte er sich selbst zum Gotte küren.

 

Stumm marschiert er in der Hilflosen Reihen

Und wünscht sich Macht statt behindernde Ketten,

Wenn Ausblicke zu Leid und Verdruß führen.

 

 

XII

 

Wenn Ausblicke zu Leid und Verdruß führen,

Zukunftsvisionen in Alpdrücken enden,

Die nun seine innere Ruhe schänden,

Heißt’s einzig und allein sein Päckchen schnüren.

 

Ließ ihn die Gegenwart stets Schönheit spüren,

Wohlig behütet von sorgsamen Händen,

Läßt er sich nun von Trostlosigkeit blenden,

Von groben Pranken des Trübsals berühren.

 

Wenn jene leid’gen Momente gekommen,

Die müh’los den Entdeckerdrang vertreiben,

Auf der einstigen Suche nach der Freiheit;

 

Wenn also, nachdem ein Zenit erklommen,

Nur abwärtsführende Wege verbleiben,

Dann ist es zweifelsohne an der Zeit.

 

 

XIII

 

Dann ist es zweifelsohne an der Zeit

Sein vom Reisen gar müdes Pferd zu plagen

Und voller Eile nach Hause zu jagen,

Mit den Stürmen Äolus’ als Geleit.

 

Wohl will er seiner kranken Mutter Leid

In trauter Zweisamkeit mit ihr ertragen,

Wenn ihre letzten irdisch’ Stündlein schlagen

Tröstend sitzen an der Sterbenden Seit’.

 

Und tief in ihm meldet sich das Gewissen,

Möchte ihn ob seiner Selbstsucht bestrafen,

Weil ihn sichtlich nur fremde Menschen scheren.

 

Den Vorwurf im Gepäck, ist er beflissen,

Nun endlich wieder zu Hause zu schlafen,

Den Weg anzutreten und heimzukehren.

 

 

XIV

 

Den Weg anzutreten und heimzukehren,

Die Straßen und Pfade zurückzugehen,

Kann sicherlich nur derjen’ge verstehen,

In dessen Leib Wehmut und Trauer währen.

 

Sich nach der Geschwister Nähe verzehren

Und auf heimischem Boden zu stehen,

Die Mutter endlich wiederzusehen,

Ist nun sein dringlichstes Begehren.

 

Und wird es ihm später auch Angst und Bange,

Daß Tod und Unglück die Sein’gen belasten,

So hat er dennoch die Rückkehr gewählt.

 

Trotz dem des Reisenden inneren Zwange,

Trotz des will’gen sich in die Welt raustasten,

Oft einsam ist der, dem die Heimat fehlt.

 

 

XV

 

Oft einsam ist der, dem die Heimat fehlt,

Wollt’ er auch mutig in die Ferne dringen,

Ihn Heimweh gar und Sehnsüchte bezwingen,

Der Schmerz der Trennung seine Seele quält.

 

Und wenn man irgends von Sachsen erzählt,

Die Fahrenden heimisch’ Ritter besingen,

Seine Gedanken sich dorten hinschwingen,

Wo er einst seiner Mutter Herz gepfählt.

 

Erinn’rungen nur mehr das Dasein zieren,

Die Tage, von Glück und Frohsinn befreit,

Doch merklich an Mut und Tatendrang zehren.

 

Wenn Ausblicke zu Leid und Verdruß führen,

Dann ist es zweifelsohne an der Zeit,

Den Weg anzutreten und heimzukehren.

 

 

(Bei dem Sonettenkranz handelt es sich um einen Auszug aus dem Drama „Theoderich von Gnandstein“, einem Drama aus der Zeit der Reformation)